Erkennt jemand seine Tante, seinen Neffen oder gar sich selbst wieder?

Wen lädt man zu einem runden Geburtstag ein? Am besten all die lieben Verwandten...

In diesem so harmlos daherkommenden, im handlichen Taschenbuchformat gestalteten Büchlein, versteckt sich so manch hintergründige Überraschung.

Als schlage man ein Poesiealbum auf und wird konfrontiert mit all den Einträgen aus vergangenen Tagen...

 

Die Erzählerin erstellt eine Gästeliste: Die Zahlen-Daten-Fakten-Tante wird neben dem Was-kostet-die-Welt-Patenonkel sitzen, der stets ölverschmierte Latzhosen-Onkel bekommt Gelegenheit bei der Waschmaschinen-Cousine zu lernen, wie man Waschmaschine, Trockner und Wäscheklammern handhabt und bestimmt haben der Religions-Onkel und die Dessous-Oma jede Menge Gesprächsstoff.

 

Jedoch: Stellt sich überhaupt die Frage, wen sie einlädt, wenn alle sowieso schon da sind, egal ob sie eingeladen sind oder nicht?

 

Ein hintergründig humorvolles Lesevergnügen, frei nach dem Motto:

Sind wir nicht alle ein bisschen schizophren?

 

Leseprobe

Der Latzhosen-Onkel und seine Frau, die Persil-Tante

 

Seine Fingernägel sind schwarz. Seine dunkelblaue Latzhose ist mit schwarzen Flecken übersät. Seine abgetragenen Sicherheitsschuhe sind schwarz. Ab und an trägt er schwarze Streifen im Gesicht. »Das kommt vom Öl«, erklärt er mir. Vom Motorenöl.

 Seine Lebensaufgabe sieht er in der Reparatur seiner Oldtimer. Die wohnen in seiner Garage. Und der Latzhosen-Onkel auch.

 Die Garage verlässt er nur, wenn er zum Essen gerufen wird. Am Eingang erwarten ihn weiße Überschuhe, ohne sie darf er das Haus nicht betreten. Auf seinem Stuhl liegt statt eines weichen Kissens ein weißes Handtuch, ohne das er sich nicht zum Essen hinsetzen darf. Neben seinem Teller liegen weiße Stoffhandschuhe, die er anziehen muss, damit die Persil-Tante seine schwarzen Fingernägel nicht sehen muss.

 Die Persil-Tante wohnt im Haus. Sie sieht ihre Lebensaufgabe darin, in adretten, weißen Kleidern Tee-Gesellschaften zu geben und ein adrettes, weißes Heim vorzuweisen.

 Kennengelernt haben sie sich vor vielen Jahrzehnten, als er mit einem schicken Oldtimer mit offenem Verdeck durch die Stadt fuhr und einen weißen Engel auf einer Parkbank sitzen sah. Er öffnete die Tür seines geliehenen Wagens, sie stieg ein, und gemeinsam erfreuten sie sich der neidischen Blicke der anderen Pärchen auf ihren Vespas. Von nun an blieben sie zusammen.

 Zusammen sieht man sie heutzutage nicht mehr oft außer Haus – nur bei den selten gewordenen Gelegenheiten, wenn er wieder einen seiner Oldtimer repariert hat.

 Dann sieht man sie gemeinsam mit offenem Verdeck, er mit schwarzen Fingernägeln und sie mit einem weißen Tuch ums wehende Haar, durch die Stadt fahren und nach Pärchen auf Vespas Ausschau halten. Die selten geworden sind. Vielleicht sind auch die Ausflüge von Onkel und Tante deshalb so selten geworden.

Die Wäscheklammern-Cousine

 

Sie wohnt in einem Reihenmittelhaus. Vor dem Haus reihen sich die schwarze, die grüne und die braune Mülltonne wie Hühner auf der Stange nebeneinander. Hinter dem Haus, zu den Nachbarn hin durch undurchsichtige Pallisadenzäune streng abgegrenzt, säumen exakt gleich große Buchsbüsche den schnurgeraden Weg zum unbenutzten Schnellkomposter. Es gibt eine rechteckige Terrasse mit Waschbetonplatten, und graue, kantige Steinbrocken verhindern das Wachstum von Unkraut.

 Das Schachbrettmuster des angrenzenden Rasengitters wiederholt sich in Augenhöhe in Form von geometrisch exakt aufgespannten Wäscheleinen.

 Jedes Mal, wenn ich komme, wehen blütenweiße Leintücher im Wind. Wäscheklammern tanzen auf der Schnur wie festgebundene Vögel.

 Einmal im Jahr besuche ich meine Cousine, denn ich möchte den verwandtschaftlichen Kontakt nicht vernachlässigen.

 »Keine Zeit, keine Zeit!«, ist ihr Lieblingssatz.

 »Warum hast du keine Zeit?«, frage ich dann.

 »Die Wäsche, die Wäsche!«, antwortet sie und lässt mich mit meinem Tee alleine in der Küche zurück, um zu ihren Wäschetrommeln zu eilen.

 Sie macht sich Sorgen, eine Waschmaschine könnte kaputt gehen und ihren straff organisierten Wäschestundenplan durcheinander bringen.

 Sie hat nach einem bestimmten System überall im Haus Wecker und Eieruhren laufen und richtet sich ganz nach deren Zeitplan. »Sonst komme ich nicht rum«, klagt sie.

 Sie besitzt 6 Waschmaschinen, 6 Trockner und ungezählte Wäscheständer. Ein Zimmer ist reserviert für ihren Vorrat an Waschpulver, einen riesigen Berg kunterbunter Wäscheklammern und mindestens 10 Waschkörbe. In einem Zimmer türmt sich die Schmutzwäsche, im Zimmer daneben stapelt sie die saubere Wäsche. Alle vier Wände sind bis zur Decke mit Regalen bestückt. Die meisten sind gut gefüllt mit frisch gewaschenen Kleidungsstücken, Bettlaken und Handtüchern.

 Wie Zahnlücken erscheinen die wenigen leeren Fächer dazwischen. Liebevoll gestaltete Namensschildchen markieren die Zugehörigkeit der Wäschestücke. Die meisten Namen kenne ich, sie gehören meinen lieben Verwandten.

 »Wo sind denn all die Menschen, zu denen die Kleidungsstücke gehören?«, frage ich.

Sie zuckt mit den Schultern. »Sie kommen nur, um ihre Wäsche abzuholen«, antwortet sie. Und wie auf Befehl wird die Haustüre aufgestoßen, ein junger Mann schleppt zwei gut gefüllte Waschkörbe Schmutzwäsche in das entsprechende Zimmer, kippt sie einfach auf den Boden und wirft die Körbe ins Eck. Er hebt von weitem kurz die Hand zum Gruß und eilt auf die Haustüre zu. »Hallo Ferdi, kennst du eigentlich unseren Besuch? Sie ist verwandt…«, ruft meine Cousine. Er überhört den Versuch, uns einander vorzustellen, tippt auf seine teure Uhr, wirft noch ein »Bis wann isses fertig?«, in die Runde und knallt die Tür hinter sich zu.

  Die Wäscheklammern-Cousine sackt in sich zusammen. »Früher hatte ich bunte Blumen statt bunter Wäscheklammern«, beantwortet sie meine noch ungestellte Frage.

 »Was ist passiert?«, frage ich sie.

 »Wenn ich das wüsste«, antwortet sie und folgt dem schrillen Klingeln eines Weckers zu den Trommeln.

Sie behauptet, mit mir verwandt zu sein, doch ich bin mir nicht sicher, denn ich habe nur eine Waschmaschine und keinen Trockner.

Aber sie muss mit mir verwandt sein, denn bei meinem Besuch sah ich auf dem Wäscheberg die ölverschmierten Latzhosen meines Onkels.

 

Weilmanns 6. Streich: Ab sofort überall erhältlich, wo es Bücher gibt

ALLE MEINE LIEBEN

Wen lade ich nur zu meinem 50. Geburtstag ein? fragt sich die Erzählerin. Am besten all die lieben Verwandten! Also erstellt sie eine Gästeliste...

 

Ein humorvoller Blick auf die Vielfalt menschlicher Charaktere und Lebensphilosophien. Frei nach dem Motto: Sind wir nicht alle ein wenig schizophren?